„Kommunikation bestimmt das Handeln der gesamten Organisation mit“
Gleich drei Universitäten in Deutschland verankerten Kommunikation im vergangenen Jahr in ihren Leitungsebenen und besetzten die Stellen mit namhaften Expert*innen aus dem Bundesverband Hochschulkommunikation: Bereits im Februar 2021 übernahm Julia Wandt (JW), Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation und zuvor Kommunikationsleiterin und Pressesprecherin der Universität Konstanz, als Teil der Universitätsleitung den Geschäftsbereich Wissenschaftskommunikation und Strategie der Universität Freiburg. Dr. Patrick Honecker (PH), vormals Leiter des Dezernats Kommunikation und Marketing der Universität zu Köln, wechselte zum 1. Juli als Chief Communication Officer (CCO) an die TU Darmstadt und gehört in dieser Funktion dem Präsidium an. Zum 1. August schließlich übernahm Marion Schmidt (MS), zuvor Leiterin des Bereichs Kommunikation der Hochschule Fresenius sowie der COGNOS-Bildungsgruppe, die neu geschaffene CCO-Position der TU Dresden und gehört dem Erweiterten Rektorat an. Wie sich der Job angelassen hat, wo die Klippen sind und welche Chancen sich eröffnen, erzählen sie im Interview mit Andrea Mayer-Grenu.
Ihre Universitäten begründeten die Schaffung Ihrer Stellen in unterschiedlichen Nuancierungen mit der strategischen Ausrichtung von Kommunikation. Was heißt das in der Praxis?
PH: An der TU Darmstadt ist der Strategiebegriff weit gefasst. Natürlich geht es uns zum einen darum, für die Kommunikation in ihren Facetten Strategien zu entwickeln. Darüber hinaus haben unsere Präsidien und Rektorate aber erkannt, dass die strategische Entwicklung unserer Organisation auch von der Kommunikation abhängt. Kommunikation kommt also nur nicht dienend daher, sondern bestimmt das Handeln der gesamten Organisation mit.
MS: Genau. Kommunikation wird als strategisch wichtiges Querschnittsthema gesehen, so wie die Digitalisierung. Ich bin an der TU Dresden als vollwertiges und stimmberechtigtes Mitglied des Erweiterten Rektorats an allen strategischen Entscheidungen beteiligt. Dies gibt mir die Chance, Kommunikation in ganz anderer Weise einzubringen und auf allen Ebenen mitzudenken.
JW: An der Universität Freiburg wurde das Thema Wissenschaftskommunikation vor einem Jahr neu auf Universitätsleitungsebene verankert und durch den neuen Geschäftsbereich Wissenschaftskommunikation und Strategie im Rektorat eng mit der strategischen Entwicklung der Universität verknüpft. Die Erweiterung um das Feld Wissenschaftskommunikation soll gleichzeitig die Synergien zwischen den beiden Bereichen stärken. Es geht um die Frage, wie Kommunikation die Strategie beeinflusst, also dass man strategische Entwicklungen von Anfang an mit dem Kommunikationsblick begleitet – und natürlich umgekehrt auch darum, wie die Strategie die Kommunikation beeinflusst.
Wie liefen die ersten Monate in Ihrer neuen Position?
PH: Wir haben zunächst analysiert, wie die ideale Struktur für einen solchen Geschäftsbereich aussehen könnte. Dazu gab es viele Interviews und Workshops, in denen wir deutlich gemacht haben, dass hier etwas wirklich Neues kommt. Wir haben den Universitätsangehörigen erläutert, welches Konzept hinter dem Geschäftsbereich steht und was uns von den Ansätzen anderer Hochschulen unterscheidet. Auf dieser Basis erarbeiten wir nun gemeinsam mit einer Agentur ein Konzept, das generisch wachsen und sich den sich verändernden Anforderungen immer wieder anpassen soll. Generell muss man gut erklären, wozu man einen solchen Geschäftsbereich braucht, um begründeten Reaktanzen zu begegnen. Grundsätzlich gibt es aber einen ‚TU Darmstadt Spirit‘, der sich sehr offen gegenüber sinnvollen Veränderungen zeigt.
MS: In Dresden habe ich keine Vorbehalte gegen diese neu geschaffene Position wahrgenommen, ich spüre viel Interesse und Wertschätzung. Wenn Kommunikation auf der Leitungsebene verankert wird, hat dies eine enorme Signalwirkung in die gesamte Organisation hinein. Ein Vorteil war sicher auch, dass die TU Dresden vor mir bereits zwei andere Chief Officer (für Digitalisierung und Internationalisierung) installiert hatte. Dadurch war das Modell bereits bekannt und es war auch klar, dass Querschnittsthemen wie eben die Kommunikation auf alle klassischen Bereiche der Universität einzahlen.
JW: In Freiburg hatten wir einen kompletten Rektoratswechsel, also stellte ich mich gemeinsam mit zwei anderen Prorektoren unter anderem bei den Fakultäten vor. Dabei waren eine Vorfreude, Erwartungshaltung und auch Erleichterung zu spüren bei den Personen, die gern Wissenschaftskommunikation machen. Allein schon die Schaffung der Position und deren Verankerung in der Leitungsebene haben zu einer enormen Stärkung und Aufwertung der Wissenschaftskommunikation an der Universität geführt.
Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen CCO/Universitätsleitung und der „normalen“ Hochschulkommunikation?
JW: Es muss schon klar sein, dass ein völliger Rollenwechsel stattgefunden hat und ich – wie auch Patrick Honecker – in dieser Funktion nicht in das operative Geschäft eingebunden bin. Die Abgrenzung war auch für mich selbst anfangs manchmal ungewohnt, aber sie ist nötig – auch, um der Kommunikationsleitung der Universität den Rücken zu stärken. Und um den Universitätsangehörigen Klarheit zu geben, für welche Kommunikations-Anliegen sie sich bei der Kommunikationsabteilung und mit welchen bei mir melden sollten. Insgesamt hat das Standing der Kommunikationsabteilung innerhalb der Universität eine Aufwertung erfahren.
MS: Bei mir ist die Situation ein wenig anders, da ich gleichzeitig auch ein Dezernat leite, in dem alle Kommunikations- und Marketingaufgaben zusammengefasst sind, von der Pressearbeit über Social Media, Web Communication bis zum Corporate Design. Das bedeutet viel Arbeit, aber dadurch habe ich auch eine unmittelbare Rückkopplung in den operativen Bereich. Die Kolleginnen und Kollegen profitieren davon, dass ich ihre Expertise in strategisch relevante Entscheidungsprozesse einbringen kann. Damit ist wie bei Julia Wandt in Freiburg klar eine Aufwertung verbunden.
Und wie steht es um das Verhältnis zu den anderen Dezernaten und Einrichtungen?
JW: Das eigentlich Neue an uns dreien ist ja, dass wir keine professoralen Mitglieder der Universitätsleitung sind, sondern aus der Praxis kommen. Wir sind ausgewiesene Kommunikationsprofis mit sehr langer Erfahrung, daher haben wir kein Akzeptanzproblem.
PH: Der Ansatz, erfahrene Kommunikationexpertinnen*innen, also gute „Handwerker*innen, in die Leitungsebene zu holen, ist ein Statement für Professionalität. An der TU Darmstadt mit ihren vielen Ingenieur*innen ist man diesem Gedanken mit Offenheit und Pragmatismus begegnet.
MS: Das kann ich bestätigen. Eine solche Position mit jemandem zu besetzen, der keinen klassischen akademischen Werdegang hat, sondern aus der Praxis kommt, ist einerseits mutig und andererseits konsequent. Es ist in jedem Fall ein echter Paradigmenwechsel in der Hochschullandschaft.
Gibt es weitere Faktoren für das Gelingen des Modells?
MS: Ich finde es bemerkenswert, dass die Universitäten – und nicht etwa die Fachhochschulen – Vorreiter sind bei der Etablierung solcher Stellen. Nicht zuletzt die Pandemie hat gezeigt, wie komplex universitäre Forschung ist, daher ist es besonders wichtig, Forschung zu erklären und zu kommunizieren.
PH: Interessant ist auch, dass es an allen drei Universitäten Frauen waren, die das Amt eingeführt haben – kluge, auf Partizipation bedachte Chefinnen. Grundsätzlich kann man sicher sagen: Hochschulleitungen mit einem Change-Willen, der Lust, Dinge auch noch einmal grundsätzlich neu zu denken, sind förderlich.
JW: Augenhöhe ist wichtig. Dazu gehört die Bereitschaft, jemanden aufgrund seiner Kompetenz und nicht aufgrund eines Titels anzuerkennen, und eine sehr gute kollegiale Zusammenarbeit. Und der Wille zur Gestaltung muss in die gesamte Universität hinein sichtbar werden.
Sollte jede Hochschule eine entsprechende Position schaffen?
Alle: Nicht unbedingt. Das Konzept macht nur Sinn, wenn es wirklich ernst genommen wird. Mindestens ebenso wichtig ist, dass die Abteilungen für Hochschulkommunikation und deren Leitungen insgesamt und überall aufgewertet werden.
Was hat sich für Sie persönlich am meisten verändert?
PH: Der Job hat mich Demut gelehrt. Es ist unglaublich herausfordernd, in der Leitung einer solch komplexen Institution mitwirken zu dürfen und Verantwortung für so viele Menschen zu tragen.
MS: Der Arbeitsaufwand ist schon immens, auch durch meine Doppelfunktion als CCO und Dezernentin und durch die zahlreichen Gremiensitzungen. Aber es ist auch unglaublich bereichernd, so eine große, forschungsstarke und traditionsreiche Universität weiterentwickeln zu dürfen und sehr viel sehr Positives bewirken zu können.
JW: Meine Arbeitstage sind durch die Gremientermine stärker vorstrukturiert als früher in der Hochschulkommunikation. Sie sind planbarer geworden, aber ich werde auch verplant. Gleichzeitig ist meine Arbeit noch einmal deutlich vielfältiger geworden, weil ich viele Bereiche und Themen der Universität gleichzeitig im Blick haben muss, das macht einen großen Reiz aus.
Welche Ziele haben Sie für die Zukunft?
PH: Ich sehe da zwei Ebenen: Zum einen die Frage, wie können wir dazu beitragen, dass sich Wissenschaftskommunikation so positiv weiterentwickelt, wie sie es derzeit tut, also dass die Notwendigkeit, die komplexen Prozesse in der Wissenschaft zu erklären und die stabilisierende Rolle von Wissenschaftskommunikation für eine Demokratie gesehen wird. Für uns als Universität haben wir das Ziel, mit unserem strategischen Ansatz von Transparenz und Austausch die gesamte Institution sprechfähig zu machen. Dazu wollen wir die wissenschaftliche Bereiche „empowern“, fit machen, zum Beispiel durch Kommunikationstrainings für den wissenschaftlichen Nachwuchs im Rahmen unserer Graduierten-Schulen.
JW: Ein solches Weiterbildungskonzept planen wir in Freiburg auch, dies leitet sich ja auch direkt aus den Empfehlungen der #FactoryWisskomm ab. Zusätzlich sind wir mitten in einem Gesamtstrategieprozess der Universität, in dem Wissenschaftskommunikation jetzt erstmals als gleichwertiges Strategiefeld benannt ist. Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung und den Signalen aus Politik und Fördereinrichtungen gehe ich davon aus, dass Wissenschaftskommunikation in den kommenden Jahren noch viel mehr als jetzt bereits ein zusätzliches Kriterium zur Bewertung der Leistungsfähigkeit einer Hochschule sein wird.
MS: Unser großes Ziel ist, die Universität noch sichtbarer zu machen mit allem, wofür sie steht. Dazu gehören herausragende Forschungsleistungen ebenso wie Haltungen und Werte. Wir werden in diesem Jahr einen Markenkernprozess aufsetzen, in dem es um genau diese Fragen gehen soll. Das ist ein sehr intensiver Prozess, der Auswirkungen haben wird auf alle Kommunikationsbereiche.