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Wissenschaftsbeziehungen mit Russland am Abgrund

„Auf Eis gelegt“ oder „am Abgrund“ – das sind zwei treffende Beschreibungen für den aktuellen Zustand der deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen. Bisher galten sie als stabil und sehr gut, doch Putins Krieg gegen die Ukraine hat alles geändert. Was deutsche, österreichisch, europäische und internationale Wissenschaftseinrichtungen nun tun, ob sich langjährige Förderverträge einfach einfrieren lassen, was Science Diplomacy bewirken kann und welche Hintergründe der Ukrainekrieg hat – das beleuchtet das aktuelle DUZ Magazin.

DUZ-Ausgabe mit Friedenstaube

Eine Friedenstaube auf dem Titelbild: Die aktuelle Ausgabe der DUZ beleuchtet den aktuellen Zustand der deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen (Foto: Screenshot DUZ-Titelbild)

Wie positionieren sich deutsche, österreichische, europäische und internationale Wissenschaftseinrichtungen?

Weltweit haben Wissenschaftsorganisationen, Forschungsinstitute und Hochschulen ihre Kooperationen mit russischen Partnern gestoppt. Im Beitrag „Am Abgrund“ stellt die DUZ wichtige Beispiele vor.

Deutsche Sanktionen

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen verurteilte bereits am 25. Februar in ihrer Stellungnahme den russischen Angriff auf die Ukraine als eklatanten Bruch des Völkerrechts und forderte das sofortige Einfrieren wissenschaftlicher Kooperationen mit staatlichen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen in Russland. (> wir berichteten)

Der Deutsche Akademische Austauschdienst(DAAD) setzt auf eine aktive Außenwissenschaftspolitik und Science Diplomacy mit Russland – und forderte ein Unterstützungsprogramm für deutsche Hochschulen, damit diese Studierende, Forschende und Lehrende aus der Ukraine integrieren können (> wir berichteten).

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bietet konkrete Unterstützung für geflüchtete Wissenschaftler*innen an und öffnete zum Beispiel das Walter Benjamin-Programm. (> wir berichteten)

Österreichische Diplomatie

Österreich hat sich für diplomatische Lösungen entschieden. Die Präsidentin der Österreichischen Universitätenkonferenz (uniko) betonte: „Wir lassen nicht zu, dass der Krieg unsere Universitäten spaltet. Wissenschaft, Kunst und ein friedliches Miteinander sind unsere gemeinsame Sprache.“

Dennoch wird Österreichs größte Agentur zur Finanzierung der Grundlagenforschung keine neuen Forschungsprojekte mit russischer Beteiligung mehr fördern.

Europäische Boykotts

Die EU-Kommission hat Anfang März einhellig beschlossen, die Zusammenarbeit mit russischen Einrichtungen in den Bereichen Forschung, Wissenschaft und Innovation auszusetzen. Zahlungen an russische Einrichtungen im Rahmen bestehender Verträge wurden gestoppt.

Die European University Association (EUA) hat ihre Mitgliedsuniversitäten in ganz Europa dazu aufgerufen, ihre Bildungs- und Forschungskooperationen mit Russland einzufrieren und die Zusammenarbeit mit regierungsnahen Einrichtungen vorläufig zu beenden. Darüber hinaus hat sie zwölf russische Universitäten aus ihrer Vereinigung suspendiert, weil diese sich auf Putins Seite gestellt hatten.

Internationale Boykotte

Das Massachusetts Institute of Technology hat seine Zusammenarbeit mit der Skolkovo-Innovationsstiftung beendet.

Die Raumfahrtagenturen NASA und ESA gaben bekannt, die Zusammenarbeit mit Russland im Weltraum zu „beobachten“.

Internationale Journale – wie zum Beispiel das Journal of Molecular Structure – werden Manuskripte russischer Institute nicht mehr begutachten.

Russische Friedensbotschaften

Und schließlich gibt es auch mutige Wissenschaftler*innen und Wissenschaftsjournalist*innen in Russland. Sie veröffentlichten am 24. Februar einen offenen Brief, in dem sie „die Entfesselung des Krieges für die geopolitischen Ambitionen der russischen Führung, getrieben von zweifelhaften geschichtspolitischen Phantasien“ verurteilen.

Lassen sich langjährige Förderverträge einfach einfrieren?

Zahlreiche Wissenschaftsinstitutionen haben angekündigt, dass sie ihre Hochschul- und Wissenschaftskooperationen mit Russland einfrieren. Aber lassen sich langjährige Förderverträge einfach stilllegen? Im Beitrag „Sehr vage formuliert“ gibt der Direktor der Forschungsstelle für Wissenschafts- und Hochschulrecht der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg Antworten.

Prof. Dr. Max-Emanuel Geis sagt: Die Verträge sind „inhaltlich meist sehr vage formuliert“ und weisen „keine Bestimmungen bei Leistungsstörungen“ auf. Vor allem aber könnten die Vertragspflichten ohnehin nicht durchgesetzt werden, denn eine russische Universität oder Forschungseinrichtung werde derzeit sicher nicht vor einem deutschen Gericht klagen.

Was kann Science Diplomacy bewirken?

Die VolkswagenStiftung hat das Förderprogramm „Trilaterale Partnerschaften für Forschergruppen aus Deutschland, Russland und der Ukraine ins Leben gerufen. Im Beitrag „Science Diplomacy in Kriegszeiten“ fragt die DUZ, wie es wirkt. Im Beitrag „Klares Stopp-Signal“ erklärt ein Vertreter des Auswärtigen Amts, wo Wissenschaftsdiplomatie an ihre Grenzen stößt.

Internationale Verständigung

„Wir begreifen die grenzüberschreitende Wissenschaftsförderung als einen Baustein zur internationalen Verständigung“, erklärt der für das Programm zuständige Förderreferent der VolkswagenStiftung. Und das Konzept funktioniert: In einer ersten Runde förderte sein Haus 39 dreijährige trilaterale Forschungsvorhaben mit insgesamt 8,8 Millionen Euro. In einer zweiten Runde 20 Forschungsvorhaben mit um die fünf Millionen Euro. Die Wissenschaftler*innen trafen sich zum fachlichen Austausch, politische Fragen spielten keine Rolle. Bisher. Doch nun unterstützt die VolkswagenStiftung keine staatlichen Institutionen in Russland mehr. Die Mittel können jedoch verwendet werden, um zusätzlich Wissenschaftler*innen aus der Ukraine nach Deutschland zu holen.

Klare Grenzen

„Wissenschaftsdiplomatie agiert immer im Lichte der Beziehungen zwischen Staaten“, erklärt Vito Cecere, Beauftragter für Außenwissenschafts-, Bildungs- und Forschungspolitik des Auswärtigen Amts. „Wir müssen uns vor Saugen führen, dass ein brutaler Krieg tobt. Russland hat ihn grundlos angezettelt.“ Gegen dies Dimension der Gewalt müsse ein klares Stopp-Signal gesendet werden. Der Dialog mit den zivilgesellschaftlichen Strukturen in Wissenschaft und Forschung in Russland solle aber so weit wie möglich fortgesetzt werden.

Welche Hintergründe hat der Ukrainekrieg?

Ohne eine gründliche Analyse und das notwendige Sachwissen werden nur „Schuldzuweisungen einfach immer nur reproduziert“. Davor warnt Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz im DUZ-Beitrag „Sicherheitsdilemma“ und erklärt die Hintergründe des Ukrainekriegs.

Die Russlandexpertin betont zunächst: „Die Ausgangslage für den heutigen Zustand war das Ende des Kalten Krieges, gekennzeichnet durch die Deutsche Vereinigung, den Wegfall des östlichen Militärbündnisses (...) und die Auflösung der Sowjetunion.“ Nur zehn Jahre später sei es im Jahr 1999 zur ersten Welle der NATO-Osterweiterung gekommen und zu einem Militäreinsatz im Kosovokrieg ohne UN-Mandat. Ein „Sicherheitsdilemma“ von enormem Ausmaß. Denn der politische Westen habe russische Sicherheitsinteressen „nie wirklich ernst genommen“.

Für einen Neuanfang empfiehlt sie dem Westen, eine intelligente Entspannungspolitik im Stil von Willy Brandt und Egon Bahr zu betreiben.

Mehr Informationen:

Elke Zapf