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Interview zum Scicomm-Support: „Wir können an 365 bzw. 366 Tagen im Jahr Wissenschaftler*innen zeigen: Ihr seid nicht allein“

Seit Sommer 2023 gibt es den Scicomm-Support als bundesweite Anlaufstelle für Wissenschaftler*innen und Wissenschaftskommunikator*innen, die (digital) beleidigt und bedroht werden. Zeit für ein Interview mit den drei Koordinator*innen Julia Wandt und Matthias Fejes vom Bundesverband Hochschulkommunikation (BV_HKOM) und Kristin Küter von Wissenschaft im Dialog (WiD).

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Der Scicomm-Support ist die bundesweite Anlaufstelle für Wissenschaftler*innen und Wissenschaftskommunikator*innen, die (digital) beleidigt und bedroht werden.

Der Scicomm-Support ging am 20. Juli 2023 an den Start. Warum braucht es die bundesweite Notfallnummer 0157/92344804 für Wissenschaftler*innen und Kommunikator*innen?

Kristin Küter*: Wir haben den Scicomm-Support als gemeinsame Initiative von BV_HKOM und WiD ins Leben gerufen, weil sich in den letzten Jahren der Ton gegenüber Wissenschaftler*innen und wissenschaftlichen Institutionen leider zunehmend verschärft hat. Forschende werden spürbar mehr für ihre Arbeit angefeindet, vor allem wenn es um kontrovers diskutierte Themen geht, zum Beispiel den Klimawandel, Corona-Impfungen oder die Genderforschung.

Wie müssen wir uns diese Anfeindungen vorstellen?

Julia Wandt**: Als ein sehr weites Spektrum, das von Hasskommentaren in den Sozialen Medien über Beleidigungen in E-Mails und Drohungen am Telefon bis hin zu tätlichen Angriffen bei Veranstaltungen und auf offener Straße reicht. Für viele Wissenschaftler*innen sind Hasskommentare inzwischen ein ständiger Begleiter. Laut einer internationale Umfrage der Fachzeitschrift „Science“ im März 2022 fühlten sich 38 Prozent der befragten Covid-19-Forscher*innen wegen ihrer Arbeit bedroht. Drei Prozent der Befragten erhielten sogar Morddrohungen.

Wer macht so etwas?

Matthias Fejes***: In der Regel die „üblichen Verdächtigen“, also zum Beispiel Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen oder tendenziöse Medien, die Zitate bewusst aus dem Zusammenhang reißen und sie entfremden. Manchmal sind es aber auch Studierende oder Kolleg*innen, die eine andere Meinung haben, die sich auf unsachliche Weise Bahn bricht.

Können sich alle Wissenschaftler*innen und Kommunikator*innen, die beleidigt und bedroht werden, an die bundesweite Anlaufstelle wenden?

Kristin Küter: Ja, das ist uns ganz wichtig. Es braucht keine besondere Stufe der Eskalation, die erreicht sein muss, um bei uns anzurufen und über die Anfeindungen zu reden. Unser Beratungsangebot richtet sich an alle Betroffenen und wir sind jeden Tag von 7 bis 22 Uhr unter der Telefonnummer 0157/92344804 zu erreichen. So können wir an 365 bzw. 365 Tagen im Jahr Wissenschaftler*innen und Wissenschaftskommunikator*innen zeigen: Ihr seid nicht allein.

Wer nimmt das Telefon ab, wenn ich beim Scicomm-Support anrufe?

Julia Wandt: Geschulte Berater*innen aus unserem Team von Ehrenamtlichen. Aktuell sind wir knapp 30 Leute, die zum größten Teil schon seit Jahrzehnten in der Hochschul- und Wissenschaftskommunikation arbeiten und große Erfahrung mit allen vorstellbaren Kommunikationssituationen haben. Woche für Woche übernehmen zwei Kolleg*innen aus diesem Team sieben Tage lang den Telefondienst. Alle wurden dafür noch einmal von Hate Aid, als Einrichtung in unserem Netzwerk aus unterstützenden Einrichtungen, geschult. Die gemeinnützige Organisation setzt sich schon seit vielen Jahren für Menschenrechte im digitalen Raum ein und bringt viel Expertise mit. Zusammen haben wir auch den internen Leitfaden für unsere Beratung erstellt.

Sie haben jetzt sieben Monate Erfahrung mit dem Scicomm-Support: Wer wendet sich an die bundesweite Anlaufstelle?

Kristin Küter: Wir bekommen jede Woche zahlreiche Anrufe von Betroffenen. Das sind Unbekannte und Bekannte aus allen Fachdisziplinen, Nachwuchswissenschaftler*innen und Professor*innen, Personen jedes Geschlechts, Wissenschaftler*innen und Kommunikator*innen. Manche rufen an, weil sie endlich mit jemand über die Beleidigungen reden und sich das nicht mehr gefallen lassen wollen. Andere befinden sich in einer akuten Notlage und brauchen juristischen Beistand.

Wie helfen Sie am Telefon?

Julia Wandt: Zunächst einmal hören wir allen Anrufer*innen gut zu und sehr genau hin: Was ist genau passiert? Wie geht es der Person im Moment? Braucht sie vor allem Tipps oder liegt eine direkte Bedrohung vor? Ist die Kommunikationsabteilung schon eingebunden? Ist der Tatbestand justiziabel? Möchte die Person, dass die Anfeindung verfolgt wird? Dann ziehen wir die Anwaltskanzlei hinzu, mit der der Scicomm-Support zusammenarbeitet. Bei Bedarf können wir auch psychologische Unterstützung vermitteln.

Was sind justiziable Tatbestände und was raten Sie den Betroffenen?

Matthias Fejes: Auch hier ist das Spektrum breit und reicht vom Recht am eigenen Bild bis hin zur Morddrohung. Wer akut bedroht wird, sollte natürlich immer die Polizei einschalten. Bei allen anderen Vorfällen helfen wir und arbeiten dafür mit einer großen Anwaltskanzlei zusammen, die sich auf Medien- und Äußerungsrecht spezialisiert hat. Außerdem kooperieren wir mit mehreren unterstützenden Einrichtungen, darunter dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg. Wir können bei Abmahnungen helfen, bei einstweiligen Verfügungen und Kontaktverboten bis hin zum Gerichtsverfahren. Wie wir genau vorgehen, entscheiden wir immer im Einzelfall mit der betroffenen Person zusammen. Nicht alle möchten zum Beispiel juristische Schritte einleiten. Vielen hilft schon das Gespräch – und dass ihnen jemand zuhört.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview führte Elke Zapf mit diesen Interviewpartner*innen:

 

* Kristin Küter ist bei Wissenschaft im Dialog Projektleiterin für den Scicomm-Support und das Projekt Wissenschaft kontrovers.

 

** Julia Wandt ist seit Februar 2021 in der Universitätsleitung der Universität Freiburg und verantwortet dort im Rektorat den Geschäftsbereich Wissenschaftskommunikation und Strategie. Von September 2014 bis September 2023 war sie Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation.

 

*** Matthias Fejes ist seit Dezember 2023 Pressesprecher an der TU Dresden. Seit September 2022 ist er Mitglied im Vorstand des Bundesverbands Hochschulkommunikation und verbandsseitiger Koordinator für den Scicomm-Support.

 

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